Rabenbraten : Roman

Wogrolly, Monika, 2004
Öffentl. Bücherei Semriach
Verfügbar Ja (1) Titel ist in dieser Bibliothek verfügbar
Exemplare gesamt 1
Exemplare verliehen 0
Medienart Buch
ISBN 978-3-216-30733-0
Verfasser Wogrolly, Monika Wikipedia
Systematik DR - Romane, Erzählungen und Novellen
Interessenskreis Roman
Schlagworte Lebenslügen, Wien, Spanien, Flugzeugunglüclk
Verlag Deuticke
Ort Wien
Jahr 2004
Umfang 364 S
Altersbeschränkung keine
Sprache deutsch
Verfasserangabe Monika Wogrolly
Annotation Quelle: Bücherschau (Büchereiservice des ÖGB) (http://www.buecherei.at/);
Autor: Renate Bernardyn-Gabler;
Es ist ein verwirrendes Buch über eine Frau, die nach dem Leben sucht und doch keine Vorstellung davon hat, wie das, was sie sucht, auszusehen hat. "Ein neues Leben, meinst du, das fliegt einfach so zum Fenster herein? Meinst du wirklich, man kann es sich bei einem Psychoanalytiker kaufen und umhängen?" Weder Mann noch Liebhaber können ihr etwas anbieten, in dem sie sich wiedererkennt und findet. Die Geschichte ist unglaublich. Bilder entstehen, auf die man sich nicht einlassen will, die Angst machen und befremdlich wirken. Dennoch kann man dem Buch eine gewisse, fast schon unheimliche Faszination nicht absprechen. Die alles entscheidende Frage zieht sich wie ein roter Faden durch das Buch. Hat sie gemordet oder nicht? Wenig an der Geschichte ist nachvollziehbar, vieles bleibt undurchsichtig. Fest steht nur, dass die Frau auf der Suche ist. Munter mixt Wogrolly Zitate von Wittgenstein bis Heidegger, gewichtet diese gleichermaßen mit dem Vogelfund und erzählt locker vom triebhaften, nicht auf hedonistische, sondern überaus neurotische Weise nymphomanen Leben der Hauptfigur, einer Wiener Journalistin Mitte dreißig, deren Ehe am Ende zu sein scheint, deren Töchter mit dem Vater seit einiger Zeit bereits in Rom leben, wo sich die Familie gemeinsam niederlassen wollte, und deren seelische Zerrissenheit sich als roter Faden durch die Erzählung windet.
In ihrem Leben scheint es keine Grenzen zu geben. Ständig spricht sie in Rätseln. Ihre Worte wirken verworren. Wirklichkeit und Traumwelt verschwimmen miteinander. Ihr Bewusstsein ist verzerrt. Ist sie wirklich krank oder nutzt sie ihre Begabung als Journalistin, die Wahrheit hinter Geschichten zu verstecken? Verbirgt sich etwas hinter ihren Wahnvorstellungen? Spielt sie ein Spiel? Steht sie auf der Bühne und rechtfertigt einen Mord? Hat sie ihm Schlafmittel gegeben und den Gashahn aufgedreht oder nicht. Versucht sie den Kopf aus der Schlinge zu ziehen oder existiert am Ende auch der Mord nur in ihrer Fantasie?

----
Quelle: Literatur und Kritik;
Autor: Helmut Gollner;
Die Autorin befiehlt Glück . (DR)

Monika Wogrolly legt einen zwiespältigen neuen Roman vor: "Rabenbraten"
Literarisch empfinde ich das Ende des Romans als empörend. Wogrolly
klebt ihrer Ich-Protagonistin, buchlang eine glaubhafte, in sich schlüssige Figur, auf den letzten zwei Seiten ein Happyend an die Biographie, mit dem sie alles, was 362 Seiten lang zu Erlebnis und Erkenntnis gestaltet war, desavouiert. Wo war der Lektor?, wo die Autorin?
Die Heldin war längst und plausibel festgeschrieben als Neurotikerin mit erheblichen Defekten im Sozial- und Geschlechtsverhalten, bindungs-, realitäts- und identitätsschwach. Sie hat sich zur Trennung von ihrer Familie entschlossen. Wir begleiten sie abwechselnd in die Analyse und in die Einsamkeit ihrer zur Weitervermietung entleerten Wohnung. Ein junges Leben lang ist sie mit ihrem Körper auf der vergeblichen Suche nach ihrer "verlorenen Seele". Über ihre Sexualität liefert sich die Heldin der Glücksverheißung des anderen Geschlechts aus, das die Glückserfüllung prinzipiell nicht leisten kann. Das ist ja ein Generalthema von Wogrollys Romanen.
Dazu wird im neuen Roman besonders viel und lange erzählt. Man akzeptiert das schließlich: Auch die Autorin ist viel und lang und braucht dafür Zeit. Außerdem überzeugt der Roman durch Zugewinne an Leichtigkeit, Stilsicherheit und transrealistischer Souveränität. Ich halte Wogrolly sowieso für eine unterschätzte Autorin.
Die Heldin aber beendet den Roman, indem sie, aktuell enttäuscht von zwei Männern, zu einem dritten geht. Der berührt ihren Körper "an den entsprechenden Stellen". Und schon kommt es "zur Wiedervereinigung von Körper-Ich und Seelen-Ich". Mit einem Federstrich werden der Heldin Liebe, Glück, Heilung, Erlösung beschert, ohne dass wir von der Änderung ihrer (aller) Prämissen verständigt wurden. Das Buch ist zunächst zwingend durch seine (tiefen-)psychologische Kompetenz und Konsequenz (die Heldin ist in Analyse, ihr Mann ist Psychiater, und Wogrolly selbst ist psychiatrisch geschult) - und dann wird der Fall geheilt durch Romantik: Das Geschlecht bekommt seine Seele, die Liebe ihr Absolutes. Die Körper "erzeugten etwas darüber Hinausragendes, das zeitlos und das endlos war und wonach alle vor ihnen gesucht hatten und alle nach ihnen suchen werden". Der konkrete Fall einer neurotischen Glückssuche wird vergeben an eine allgemeine Glücksphilosophie in Phrasenqualität.
Die Heldin hat einen Vogel, metaphorisch, aber auch buchstäblich. Den metaphorischen schafft sie sich träumend so, dass er teilweise Gestalt und Funktion ihres Psychiaters annimmt. Der Psychiatervogel verabschiedet sich von ihr auf der letzten Seite des Buches wie ein pathetischer Religionslehrer bei der Maturafeier: "Sie haben das Fliegen schon erlernt. () Bitte denken Sie an mich und antworten Sie mir mit ihren Taten. Ihr Leben, das nun erst beginnt, sei Ihre Antwort." Der Analytiker hat völlig unprofessionell mit seiner Klientin in der Südsee Urlaub gemacht, ist aber vorzeitig entflogen (zurück nach Wien). Er sah die Heilung voraus, die für den Leser unvorhersehbar war und unglaubhaft bleibt. Das ist der Unterschied zwischen psychiatrischer und poetischer Kompetenz, im besten Fall. Schon in Wogrollys letztem Roman ("Herzlos") regte sich am Schluss erstmals etwas wie Hoffnung für die Protagonistin. Die aber war dramaturgisch vorbereitet und psychologisch dezent. Diesmal ist es ein Willkürakt.
Vielleicht sollte man eine Rezension nicht im ersten Zorn schreiben. Oder sich wenigstens anschließend um Ausgewogenheit kümmern: Das Buch lässt sich nämlich literarisch höchst erfreulich an; direkte Sätze ohne kommunikative Gefälligkeiten, Subalterndienste oder kommunikativen Ordnungsfimmel, eine Schreibweise, die in ihrer Autonomie gleichermaßen mitteilt, was Sache ist und wie Literatur funktionieren kann. Eine junge Frau, psychisch traumatisiert, posiert mit ihren Geschichten vor dem Analytiker, und in den Nächten beschwört sie eine märchenhafte und vielgestaltige Hilfswirklichkeit. Weder in der Analyse noch in der Nacht ist ihren Mitteilungen unmittelbar zu trauen. Sie sind Formen und Strategien ihrer Glückssuche. "Ich blicke Ihnen tief in die Augen und lüge! Aber es ist wahr ()." Gerade die Lüge enthält die Wahrheit über den Lügner. Das ist nicht nur eine psychologisch brauchbare Behauptung, sondern auch eine poetisch brauchbare (und damit eine Qualität des Buches): Gerade die Erfindung enthält die Wahrheit des Dichters; nur der Versuch, die Wirklichkeit zu imitieren, erreicht das Imitierte prinzipiell nicht. Wogrollys Heldin macht Autobiographie und Analyse, indem sie vor allem posiert, erfindet, irreführt, flirtet. Mehr an Wahrheit ist nicht zu kriegen; mehr nicht als die auserzählte Unerreichbarkeit von Wahrheit. Eine Poseurin ist nur in ihren Posen authentisch. Immerhin markieren ihre Posen den Abstand zum Glück (der Glückliche braucht keine Posen) und enthalten auf ihre Weise das Ziehen der Glückssuche.
Manchmal kann man Wogrolly wie einem Kind beim Plaudern zuhören, ihrer unbesorgten Missachtung definierter Realitäten, dem Aufgreifen banaler Märchenmotive, der Geringschätzung von Botschaften, der Parade nächtlicher Einbildungen. Das "Kindliche" mag man bisweilen als kindisch empfinden (wohl auch als uferlos - Lesepausen tun gut), aber ebenso darf es als literarisches Prinzip gelten und birgt literarische Qualität. Die Bilder brauchen und kriegen keine andere Rechtfe e4f rtigung als ihr Auftauchen. Das ergibt natürlich nicht Beliebigkeit, taucht doch nur das auf, was zur Person gehört und hochwill. Was Wogrolly anzubieten hat, ist vertrauenswürdiges, klares Chaos.
Kann sein, dass der Roman aus der Redewendung "einen Vogel haben" entstanden ist. Im Alltag wird sie leichthin gebraucht und abschätzig gemeint. Wogrolly nimmt sie ernst: Ihre Heldin hat als Neurotikerin landläufig "einen Vogel". Ein Vogel hat aber auch metaphorischen Freiheitsappeal: er kann fliegen. Wogrollys Heldin kann nicht fliegen (= lieben), nicht einmal den verheißungsvollen Brief aus dem Schnabel des Volkslied-Vogels abholen. Sie meint, einen Mord an einem Mann begangen zu haben, verlässt dessen Wohnung, birgt auf der Straße einen aus dem Nest gefallenen Vogel und eilt zum Psychiater. Der heißt Rabe, das vermeintliche Mordopfer heißt Burt (Bird!) Wings (Flügel!). Der Vogel (seine Flugfähigkeit) dominiert dann auch die Träume und Einbildungen der jungen Frau, wird von vornherein zur Rezeption empfohlen: "Man könnte sagen, einen Vogel zu haben, sei zum Verständnis meiner Geschichte erforderlich. Wenn sich durchaus kein Vogel auftreiben lässt, rate ich Ihnen, sich vorzustellen, dass einer zu Ihnen unterwegs ist."
Gegen Schluss ändert die Erzählerin ihre Erzählhaltung, indem sie vom Südseeurlaub mit Doktor Rabe vergleichsweise linear und sachlich erzählt (für einen Absatz lang sogar in der auktorialen 3. Person). Diese Abkehr von der notorisch wie poetisch eingebrachten Unwahrheit beschert der Erzählung eine Einbuße an Wahrheit. Sie gipfelt in der Unwahrheit des Happyends.
Zurück also zum Zorn: Die Erzählerin kann jetzt fliegen. Im Flug ist nicht mehr erwähnenswert, was sie auf der Erde zurücklässt (einen Gatten, zwei Töchter, ein paar Liebhaber), dass sie weiterhin der Schwerkraft gehört und vor allem, dass Fliegen nicht deswegen möglich ist, weil eine Autorin es aufs Papier schreibt.
Bemerkung Katalogisat importiert von: Rezensionen online open (inkl. Stadtbib. Salzburg)
Exemplare
Ex.nr. Standort
5346 DR, Wog

Leserbewertungen

Es liegen noch keine Bewertungen vor. Seien Sie der Erste, der eine Bewertung abgibt.
Eine Bewertung zu diesem Titel abgeben