Dillingers Fluchtplan oder Karajan umzubringen war mir ein Bedürfnis : Erzählung

Markart, Mike, 2008
Öffentl. Bücherei Semriach
Verfügbar Ja (1) Titel ist in dieser Bibliothek verfügbar
Exemplare gesamt 1
Exemplare verliehen 0
Medienart Buch
ISBN 978-3-900965-34-1
Verfasser Markart, Mike Wikipedia
Systematik DR - Romane, Erzählungen und Novellen
Interessenskreis Roman
Schlagworte Herbert von Karajan, Ayrton Senna, John Dillinger, in fremden Körpern
Verlag Edition Kürbis
Ort Wies
Jahr 2008
Umfang 103 S.
Altersbeschränkung keine
Sprache deutsch
Verfasserangabe Mike Markart
Annotation Quelle: bn.bibliotheksnachrichten (http://www.biblio.at/literatur/bn/index.html);
Autor: Johanna Kircher;
Gefährliches Gedankenexperiment. (DR)

Der österreichische Schriftsteller Mike Makart ist vor allem erfolgreich mit Hörspielen. Sein dramatisches Talent kommt auch in dieser Erzählung sehr gut zur Geltung. Der Plot baut auf einer ebenso einfachen wie originellen Idee auf: Jedesmal, wenn die Hauptfigur einschläft, wacht sie in irgendeinem Fremden auf, den sie durch Gedankenspiele töten muss, um wieder in ihren Körper zurückkommen zu können. Zeit und Raum spielen bei der Auswahl keine Rolle, also kann dieses Los auch auf längst Verstorbene fallen. Lesend folgt man dem männlichen Ich-Erzähler hinein in die Gedanken verschiedenster, auch prominenter Figuren. Bereitwillig lässt man sich auf seine Perspektive ein, die von ihrem grausamen und doch notwendigen Ziel dominiert wird: Man sucht mit ihm nach der Schwachstelle in der Innenwelt des anderen. Wann wird welcher Gedanke eingesetzt, um den Gastgeber zu töten und selbst zu überleben?
Hier zeigt sich, dass Makart es meisterlich versteht, das menschliche Bewusstsein darzustellen. Er ist verwegen genug, seine Figur in das Innenleben Elias Canettis hineinzuschreiben, und das Ergebnis ist, so wie die ganze Erzählung, frisch und äußerst unterhaltsam. Wenn es tatsächlich möglich wäre, ungebetenen Besuch von solchen fremden Stimmen im eigenen Bewusstsein zu bekommen, wäre das eine Erklärung für die Fehlentscheidungen, die man manchmal gegen besseres Wissen trifft? Haben wir vielleicht schon einige solcher Gedanken-Attentate überlebt und irgendwo ist jemand nicht mehr aus seinem Schlaf erwacht? Mike Makart schenkt uns eine amüsante Expedition in die Psyche seiner Figuren, am Ende ahnen wir wieder einmal: Das Bewusstsein hat viele Stimmen.

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Quelle: Literatur und Kritik;
Autor: Helmuth Schönauer;
Traum, Mord, Happyend
Mike Makarts perfekte Prosa
Egal ob Westernliebhaber oder Musik-Guru, wenn die Helden in Todesgefahr sind, will man als Leser sofort wissen, wie es wirklich um sie steht.
Mike Markart platzt mit seinem wundersamen Titel "Dillingers Fluchtplan oder Karajan umzubringen war mir ein Bedürfnis" in das Plätschern des Literaturbetriebes, und der Knalleffekt im Titel macht durchaus Sinn, denn es geht letztlich um Sein oder Nicht-Sein im Text.
Der aufregendste Erzähler tarnt sich nämlich zwischendurch als Parasit, welcher mitten im Text seine Zwischenwirts-Helden umbringt. Und dieses Erzählkonzept ist genial. Ein Ich-Erzähler kann sich im Schlaf nur dann halbwegs regenerieren, wenn er darin in eine andere Figur schlüpft.
Üblicherweise beginnt ein Stück Traum irgendwo in der Nacht und endet oft damit, dass sich der Traumbesitzer gar nicht mehr daran erinnern kann. In "Dillingers Fluchtplan" jedoch muss der Erzähler jeweils seine Figur eliminieren, in die er beim Einschlafen geschlüpft ist. Erst dann gibt es ein sattes Aufwachen, während sich der erzählende Körper räkelnd durchstreckt.
Die meisten Fälle, die auf diese Weise Nacht für Nacht beiseite geräumt werden, sind die üblichen Toten in Funk, Presse und Fernsehen. Es scheint geradezu ein leichtes zu sein, Rennfahren, Bergsteiger oder kaputte Künstlertypen beiseite zu räumen. Wenn am Tag die Medien voll von skurrilen Toten sind, deutet das auf eine heftige Nachtarbeit des Erzählers hin.
Eine ziemlich harte Nuss hingegen ist John Dillinger (1903-1934), den das FBI in Ermangelung von echten Schurkenstaaten als Staatsfeind Nummer eins führt. Dieser Dillinger sitzt gerade im Gefängnis ein, als der Ich-Erzähler durch Schlaf in seinen Körper zischt und ihm allerhand seltsame Gedanken in den Kopf setzt. Dillinger ist völlig aufgebracht, er ist sich seiner Medienwirksamkeit bewusst und tobt in seiner Gefängniszelle, als der Erzähler in ihn hineinschlüpft. Zum einen lautet der Befehl, nun zu fliehen, zum anderen sich zu beruhigen. Gerade Dillinger kann schwer das eine vom andern unterscheiden und ist furchtbar aufgebracht, dass er die wichtigsten Fluchtrituale vergisst und eine ziemlich plumpe Flucht hinlegt. Aber einmal im Freien, ist Dillinger kein großes Glück beschieden, immerhin muss der Erzähler den Fall zu Tode bringen, sonst gibt es kein Happyend. In einer der schönsten Suggestionsstellen der Weltliteratur befiehlt der eingeschlichene Schläfer seinem Helden, "endlich zu ziehen". Und gottseidank ist das FBI zur Stelle und knallt den Dillinger historisch einwandfrei ab, dass es nur so eine Freude ist. - Müde von der Geschichte im anderen Körper, wacht der Erzähler auf und ist relaxed wie seine Leser.
Der Fall des Dirigenten-Genies Karajan hingegen liegt völlig versalzen im Gute-Nacht-Ambiente. Das Ekel Karajan weckt beinahe in jedem, der damit zu tun hat, die Lust nach einem ordentlichen Würgegriff. Der Erzähler freilich geht raffinierter vor und flößt dem hektischen Karajan ein, er solle überall nachsalzen, wie es dieser ja in der Musik und besonders bei Festivals in der Salzachstadt zu tun pflegt. Dem Karajan-Körper bekommt dieses ewige Nachsalzen nicht gut, und er stellt auf natürliche Weise seine Körperfunktionen ein. Auch hier ist zufriedenes Aufwachen der Sinn der Episode.
Letztlich ist es diese kühne Erzählposition, die den Leser mitreißt. Alles, was während einer Lektüre üblicherweise über stille Vereinbarungen funktioniert, wird hier zu einem großartigen Strategiespiel aufgedonnert, worin der Erzähler mit Hilfe seines Lesers die Helden der Weltgeschichte steuert.
Absurd witzig, hinterhältig kalt, gesotten frech - eine wunderbare Erzählung.

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Quelle: Pool Feuilleton;
Der beste Erzähler ist nach wie vor ein Parasit, der mitten im Text seine Zwischenwirts-Helden umbringt.
Mike Markarts Erzählkonzept ist genial. Ein Ich-Erzähler kann sich im Schlaf nur dann halbwegs regenerieren, wenn er darin in eine andere Figur schlüpft. Diese Figur muss eliminiert werden, erst dann gibt es ein sattes Aufwachen und räkelndes Durchstrecken des erzählenden Körpers.
Während manche Figuren ziemlich easy beiseite zu räumen sind, man denke etwa an Extrem-Sportler, die gerade zu betteln, dass sie sich beiseite räumen dürfen, machen andere ganz schöne Schwierigkeiten.
Eine besonders harte Nuss ist John Dillinger (1903-1934), den das FBI in Ermangelung von echten Schurkenstaaten als Staatsfeind Nummer eins führt. Dieser Dillinger sitzt gerade im Gefängnis ein, als der Ich-Erzähler durch Schlaf in seinen Körper zischt und ihm allerhand seltsame Gedanken in den Kopf setzt. Einmal gilt es zu fliehen, andererseits sich zu beruhigen. Gerade Dillinger kann schwer das eine vom andern unterscheiden und ist furchtbar aufgebracht, als es zu fliehen gilt. Aber einmal im Freien, ist Dillinger kein großes Glück beschieden, immerhin muss der Erzähler den Fall zu Tode bringen, sonst gibt es kein Happyend. In einer der schönsten Suggestionsstellen der Weltliteratur befiehlt der eingeschlichene Schläfer seinem Helden, "endlich zu ziehen". Und gottseidank ist das FBI zur Stelle und knallt den Dillinger ab, dass es nur so eine Freude ist. - Müde von der Geschichte im anderen Körper, wacht der Erzähler auf und ist relaxed wie seine Leser.
Da liegt der Fall Karajan viel salziger im Gute-Nacht-Ambiente. Das Ekel Karajan weckt beinahe bei jedem, der damit zu tun hat, die Lust nach einem ordentlichen Würgegriff. Der Erzähler freilich geht raffinierter vor und flößt dem hektischen Karajan ein, er solle überall nachsalzen, wie es dieser ja in de 8f4 r Musik zu tun pflegt. Dem Karajan-Körper bekommt dieses ewige Nachsalzen nicht gut, und er stellt auf natürliche Weise seine Körperfunktionen ein.
Letztlich ist es diese kühne Erzählposition, die den Leser mitreißt. Alles, was während einer Lektüre üblicherweise über stille Vereinbarungen funktioniert, wird hier zu einem großartigen Strategiespiel aufgedonnert, worin der Erzähler mit Hilfe seines Lesers die Helden der Weltgeschichte steuert.
Absurd witzig, hinterhältig kalt, gesotten frech - eine wunderbare Erzählung.
*Helmuth Schönauer*
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